Rechnen mit Kugeln, Stäben und Stiften

Text und Bilder: Robert und Micha Weiss

Das Rechnen mit Kugeln, Stäben und Stiften hat nicht nur die Rechentechnik revolutioniert, sondern auch unser Verständnis von Zahlen und Mathematik grundlegend geprägt. Seine einfache und intuitive Funktionsweise ermöglichte es Menschen über Jahrhunderte hinweg, komplexe Berechnungen durchzuführen und so Handel, Wissenschaft und Technologie voranzutreiben.


Abaki: Die wohl ältesten mechanischen Rechenhilfsmittel

Der Abakus (Mehrzahl Abaki oder Abakusse) hat seine Ursprünge in unterschiedlichen Regionen zu unterschiedlichen Zeitepochen. Bereits in Mesopotamien (ca. 2700-2300 v. Chr.) findet man Zählbretter aus Ton oder Holz mit Rillen oder Steinen. Aus der Antike (ca. 300 v. Chr. - 500 n. Chr.) sind Abaki aus Griechenland und Rom bekannt und in China entstand der "Suanpan" als Variante mit Perlen auf Stäben, ein Aufbau, der sich auch beim späteren Soroban (Japan) und beim "Stschoty" aus Russland finden lässt.

Mit einem Abakus ist die Durchführung der Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie das Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln möglich.

Der Suanpan aus China, 1100 v. Chr.

Der Suanpan gilt als das älteste Rechenbrett aus China. Prinzipiell ist es ein mechanisches Rechenhilfsmittel mit dem Zehner-Stellenwertsystem (9, 11 oder 13 Spalten). Der Rahmen ist durch einen Querbalken (”Steg”) geteilt. Im unteren Teil (”Erde”) befinden sich fünf Kugeln mit dem Wert 1. Im oberen Teil (”Himmel”) sind es zwei Kugeln mit dem Wert 5. Beim Rechnen gelten nur die Werte, die sich am Steg (unten und oben) befinden, d.h. das Resultat wird in der Mitte abgelesen. Der Suanpan ist heute noch sehr beliebt und wird als Souvenir im asiatischen Raum aus ganz unterschiedlichen Materialien produziert.


Der Soroban aus Japan, 1600 n. Chr.

Der japanische Soroban stellt eine historische Weiterentwicklung des chinesischen Abakus dar. Beim Soroban sind die Rechenperlen auch in senkrechten Spalten angeordnet, wobei sich im oberen Teil nur eine Perle befindet. In der unteren Spalte befinden sich nur noch vier, vor 1920 waren es noch fünf, Rechenperlen. So lassen sich mit der kleinsten Anzahl von Perlen mathematisch sinnvolle Fünfer-Bündelungen vornehmen. Die Rechenperlen werden senkrecht zum Balken hin verschoben und auch hier ist das Resultat in der Mitte ablesbar. Auch der Soroban, meistens aus Holz gefertigt, ist nach wie vor ein beliebtes Souvenir.


Der Stschoty aus Russland, um 1700

Beim russischen Abakus ist der Rahmen konisch gebaut. Den höheren Teil des Rahmens stellt man bei der Verwendung aus Bequemlichkeitsgründen nach oben. Die Rechenperlen sind waagerecht in Zeilen angeordnet und umfassen je 10 Perlen. Die beiden mittleren Perlen sind jeweils dunkler gefärbt, die acht äusseren sind hell, was eine Fünfer-Teilung einer Zeile zulässt. In der 1000er-Zeile oder auch 1'000’000er-Zeile, gibt es eine zusätzliche dunkelgefärbte Abschlussperle. Sie dient vermutlich der Orientierung des Benutzers. Die Zeile mit nur vier Perlen dient für Viertel-Kopeken bzw. Rubel oder als Kommastelle. Gerechnet wird von rechts nach links.


Multiplikationshilfsmittel

Einfache Additionen und Subtraktion waren leicht erlernbar. Die Multiplikation war da schon etwas schwieriger. Aus diesem Grunde wurden unterschiedliche Hilfsmittel erfunden von eingravierten Stäben über Multiplikationstabellen bis zu spielerischen Hilfsmitteln.

Napiersche Rechenstäbe, 1617

Mit den Rechenstäbchen von John Napier (1550-1617) lässt sich eine Multiplikation sehr schnell durch Ablesen über die Diagonale und der Addition für einen mehrstelligen Multiplikanden durchführen. Auf dem Stäbchen ist das kleine Einmaleins (Werte 1 bis 9) einer Zahl eingraviert. Napier beschreibt seine Stäbchen in seinem Werk ”Rabdologiae seu numeratio per virgulas libri duo”, welches in seinem Todesjahr erschien. Nach diesem Verfahren ist auch die erste Rechenmaschine von Schickard ausgelegt.

Ausgelegtes Rechenbeispiel: 52’749 x 4 = 210'996


Rechenstäbchen nach Genaille-Lucas, 1885

Mit den Rechenstäbchen nach dem Franzosen Genaille-Lucas lässt sich das Resultat einer Multiplikation dank der grafischen Darstellung ohne mentale Zwischenrechnung direkt ablesen. Ein vollständiger Satz der Genaille-Lucas-Stäbe für die Multiplikation besteht aus einem Index- und zehn Zahlenstreifen. Die Zahlenstreifen haben je eine Spalte mit Dreiecken und eine mit Zahlen. Für die Division ist ein anderer Satz an Stäben nötig.

Ausgelegtes Rechenbeispiel: 52’749 x 4 = 210'996


Multiplikationstabelle in Buchform, Anfang 20. Jh.

In Tabellenbüchern wie ”Universal-Rechner” von Bergmann oder ”Multi-Divi” von Wilkenson sind alle Resultate einer Multiplikation mit einem mehrstelligen Multiplikator und einem mehrstelligen Multiplikanden eingetragen. Je höher der Stellenwert, desto dicker das Buch.

Ein sehr bekanntes Buch aus der Schweiz war das Werk von Erwin Voellmy mit seinen fünfstelligen Logarithmen. Die gelbe Bibel gehörte in der Periode vor den Taschenrechnern zum allgemeinen Schulstoff. Und das Porträt von Jost Bürgi auf der Innenseite erinnert an den Erfinder des Logarithmus.


Spielerisches Multiplizieren, 1995

Mit dem ”Rechenaffen” von Bichsel ist das Multiplizieren ein Kinderspiel. Bezeichnung: Consul 77, Peter Bichsel, D.


Addiator, ab dem 17. Jh.

Die Zahlenschieber, oft als Blechrechner oder als Griffeladdierer bezeichnet, wurden ab dem 17. Jh. in sehr unterschiedlichen Bauformen vor allem in Frankreich hergestellt. Die mehrstufige Entwicklung wurde 1847 mit der Erfindung der halbautomatischen Zehnerübertrag (Hacken-Prinzip) durch den Deutschen Hermann Kummer vervollständigt. Addiatoren sind ”Taschenrechner” nur zum Addieren und Subtrahieren mit einer Stifteingabe und waren bis zum Start der elektronischen Taschenrechner sehr populär, weil sie den Rechenschieber ergänzten.

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Bayrisches Rechentuch als Nachbildung aus dem 16. Jh.

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Antike Rechengeräte